Christoph Bernh.                     Welt und Glauben

Schlüter                                        Erster Theil

1801 – 1884                                                  

Zorn und Zuflucht

                                                         (Fortsetzung)

 

 

 

75

 

O Herz, was frommt’s, daß rings die Erde quillt,

Wenn weit umher auf neuen, frischen Wegen

Aus dunkler Tiefe Leben keimt entgegen

Vom Sonnenstrahl erschlossen sanft und mild,

 

Bleibt doch die ew’ge Sehnsucht ungestillt;

Erblickst du doch im unermess’nen Segen,

Daß alle Kreaturen liebend hegen,

Ob unbewußt, ein einig selig Bild,

 

Das leuchtet, glüht mit Lieb’ und Lebenswonne

Durch alle Herzen selig zitternd hin,

Die trunken ihm nur Huldigung erweisen.

 

Sein Bildniß ist die äußre Tagessonne;

Im Wort des Lebens strahlt’s dem innern Sinn;

O laß nicht ab auch hier schon ihn zu preisen!

 

 

 

76

 

Ich kenne ihn; wie könnt’ ich sonst ihn nennen

Mit Namen, selig in Entzückungsschauern.

Ich kenn’ ihn nicht; behauptend ihn zu kennen

Fühl’ ich Gefahr im Hinterhalte lauern.

 

Ich kenn’ ihn wohl; könnt’ ich für das entbrennen,

Was unbekannt, und als Verbannter trauern?

Nein, nein, ich kenn’ ihn nicht; schnell möcht’ sich trennen,

Auf dessen Nam’ ich fuße, wie auf Mauern.

 

Weh, wie geschieht mir, denn es straft mich Lügen

Sein Wort in mir, will ich mich kundig nennen

Dessen, der ist; und laß ich mich besiegen

 

Und will ihn nicht zu kennen schnell bekennen,

Müß ich auch hier vor seinem Wort erliegen.

Was bleibt mir nun, als stumm in Liebe brennen?

 

 

 

77

 

O du, der selbst die ew’ge Wahrheit ist,

Den, aus der Ferne ahnend, wir erkennen

Im Nebelthal und in der Sehnsucht brennen,

Eilend zu dir, wo man des Grams vergißt;

 

Du, der ganz unsres Herzens Qual ermißt

In langer Nacht, wo wir zu dir nicht können,

Wo Abgrundsrisse fern von dir uns trennen,

Vergiß uns nicht, der du die Liebe bist.

 

Send’ uns des ew’gen Tages Morgenträume,

Zu locken uns auf deine sel’ge Spur,

Daß ew’ges Leben Wurzeln schlag’ und keime.

 

Und ihm, dem keine Blum’ auf ird’scher Flur

Mehr blüht, zeig’ ihm die ewige Natur,

Daß er entzückt des Wegs dahin nicht säume.

 

 

 

78

 

Und schwingt der Lenz sich aus der Nacht hervor,

Aus Winters Grab in sel’ger Auferstehung,

Geweckt vom Liebesstrahle zur Erhöhung

Des Lichts in aller Wesen sel’gem Chor;

 

Schließt hinter ihm sich zu das schwarze Thor

Der Finsterniß, wenn trunken mit Verschmähung

Der Banden all’ zu heitrer Festsbegehung

Er nun sich schmückt und nichts, gar nichts verlor.

 

O möcht’ auch ich am Frühlingstag der Gnade

In sel’ger Liebeshoffnung morgenroth

Dahinten lassen Sünde, Nacht und Tod,

 

Gekräftiget in ew’gem Stromes Bade

Empfinden ganz, was ew’ge Huld mir bot,

Und trunken knien an heil’ger Bundeslade.

 

 

 

79

 

Trittst du an’s Licht, ein jugendfrohes Kind,

Aus dunkler Traumwelt in das helle Leben,

Bald neue Träum’ dich und die Ding’ umschweben,

Ein neuer Traum des alten Platz gewinnt.

 

Ach Alles glänzt und lockt; von Glorie sind

Die Herrlichkeiten dieser Welt umgeben,

Furcht, Hoffen, Liebe, Haß und Zornesbeben

Durchzückt dein Herz und lähmt und macht es blind.

 

Ach Wen’ge nur vergessen, selbst sich suchend,

Nicht ihres Herrn und jener Herrlichkeiten,

Die uns von Anbeginn bereitet sind.

 

Glückselig, wem sein Licht in früher Jugend

Im Traume zeigt den Tag der Ewigkeiten,

Daß ird’scher Traum nicht überhand gewinnt.

 

 

 

80

 

Lern’ höflich sein, der Liebe eignet’s traun!

Doch merk’, o Freund, es gibt drei Höflichkeiten:

Die will nur sich, die Andern Lust bereiten,

Die an der Gottheit Ehrentempel bau’n.

 

Drei Höfe gibt’s; der eine in den Au’n

Des Himmels um den Fürst der Ewigkeiten,

Der andre auf der Erd’ im Lauf der Zeiten,

Der dritte tief in Satans Nacht und Graun.

 

Drum gibt es denn der Höflichkeiten drei:

Der Liebe Glanz blickt aus der ersten vor,

Sie sucht des Nächsten Heil und Gottes Ehre;

 

Die zweite schlau und nie von Selbstsucht frei,

Ist nichtig wie die Welt; nie leih’ ein Ohr

Der dritten; die nur sinnt, wie sie zerstöre.

 

 

81

 

Die Palme wünsch’ ich mir am hohen Ziele,

Doch möcht’ ich Staub und Schweiß der Rennbahn meiden,

Mich lockt der Siegeskranz in Festesspiele,

Doch möcht’ ich von Gefahr und Leid mich scheiden.

 

Mich lockt am Abend der Oase Kühle

Am Palmenquell; doch möcht’ auf grünen Weiden

Am Tag ich weilen, statt in Sandesschwüle

Zu schleppen meine Bahn und viel zu leiden.

 

Und heiß begehrt die Siegeslust zu theilen

Mein Herz der Helden, doch am Tag der Schlachten

Möcht’ ich nicht gern im Pulverdampf mich zeigen.

 

Ach, armes Herz, wie klug weißt du zu theilen,

Du möchtest gar, wenn wir es recht betrachten,

Die Höh’ erklimmen sacht’ im Abwärtssteigen.

 

 

82

 

Wünsch’ dir nicht Ruhe außer in Bewegung;

Vom Kampfplatz fern des Lebens Pulse stocken,

Unangeschlagen tönen keine Glocken,

Kein Kampfpreis winkt in träger Friedumhegung.

 

Unscheinbar ist, wie todt, was ohne Regung,

Nur, was bewegt, wird unwillkürlich locken

Aufmerksamkeit. Die hinterm Herde hocken,

Sie sterben ruhmlos; braucht’s der Widerlegung?

 

Metallisch ist der Geist, nicht Gold, nein Eisen:

Träg’ rostet er, wie ungebraucht der Pflug;

Unthät’ges Herz verstumpft, bedeckt von Schimmel.

 

Laßt uns das Sein, das stets bewegte, preisen,

Das dennoch ruht in sich, sich gleich im Flug,

Was fern dem Kampfplatz, freut selbst nicht den Himmel.

 

 

83

 

Wollt, Pilger, ihr zum schönen Ziel gelangen,

Wo Himmelsgnade küßt die trübe Erde,

Aus jenen Höhn euch schallt ein neues „Werde“

Des sel’gen Lebens, das euch aufgegangen;

 

Was doch mit Schachteln, Kasten euch behangen

Und Büchsen, bei der Sorge Angstgeberde:

Ihr unterläget Mangel und Beschwerde

Auf weiter Bahn, vom Tode bleich die Wangen?

 

Steigt auch in luft’ger Gondel auf zum Mond

Bei Nacht ein Schiffer, wo in Aethersälen

Der Sternwelt heiliges Geheimniß thront?

 

Wird er nicht ewig seines Ziels verfehlen,

Wenn ängstlich er den Erdenballast schont,

Statt ihn der Welt und sich Gott zu befehlen?

 

 

84

 

Die Stümper itzt will ich dir klar bezeichnen,

Pfuscher von Haus aus; von der Himmelshöh’

der heil’gen Schönheit fielen sie zum See

Der Mode, wo Natur und Gott sie leugnen.

 

Nur Himmlisches nicht können sie aneignen;

Wo himmlische Gesichte der Idee

Ein Weiser sieht, laut schrei’n sie Ach und Weh,

„Idee nur ist’s, wie mag sich die ereignen!“

 

Und wie vom Anbeginn der Menschen Schaar

In Kindern Gotters und der Welt geschieden,

In Gott- und Satans-Reich getrennt war

 

Und ist, so gleicher Weise nimmst du wahr

Im Reich des Schönen, die den Tand stets mieden,

Und die nie schmeckten heil’ger Schönheit Frieden.

 

 

85

 

Den Einzelnen verdirbt die Schmeichelei

Der Einzelnen; verleumderisch Beginnen

Läßt Andre kaum zum Athmen Zeit gewinnen,

Ward aus den Einzelnen Clubb und Partei.

 

Mit kieselfrecher Lüg’ und Heuchelei

Preist jede Schaar sich den verwirrten Sinnen

Des Neulings; nur die Wahrheit zu umspinnen

Ist Aller Werk, wie vielfach ihr Geschrei.

 

Weß Auge dringt durch solche dicke Nebel

Und Qualm des Höhenrauchs, drin blutig roth

Der Wahrheit Sonne selbst verschwunden schier?

 

Sie nennen Götter sich, selbander Pöbel,

Sie wissen’s wohl; wer Huldigung nicht bot

Der Lüg’, ist ihnen wie ein seltnes Thier.

 

 

86

 

O nennt nicht Tiefsinn solche Selbstverdumpfung,

Hohl und verzweifelnd, Söhne dieser Zeit,

Nicht Zukunftsknospen eure Hagerkeit

Und frost’ge Dürr’ in grauser Herzverschrumpfung!

 

O nennt nicht praktisch eure Einversumpfung

In schnöden Bauchdienst dieser flücht’gen Zeit,

Ihr ew’gen Schwalben, Aufgeblasenheit

Nicht Größ’, und Heroismus Geistabstumpfung!

 

O kritisch Volk, den krit’schen Essig sucht

Mit Wein der Poesie ihr zu versetzen,

Credenzend solchen Krätzer eurem Götzen!

 

Kaum aufgesproßt, ihr Dornen, schon verflucht,

Ein nackt Gestripp, mit Rosen nie zu letzen

Ein Menschenherz, hat Lieb’ euch nie besucht?

 

 

87

 

Fürwahr, euch kaufet Keiner, der euch kennt,

Blindschleichen in dem ausgefahrnen Gleise

Der Zeiten Bahn, die Herzen starr auf Eise,

Dieweil im Kopf ein rußig Feuer brennt.

 

Nur was absurd, wird stets euch evident,

Geschürzt stets seit ihr und bereit zur Reise

Mit Traumesflugwerk, nach Ikar’scher Weise,

In’s Land des Wahns; „Nichts“ heißt eu’r Element.

 

Schwachköpfe, Herzenszwerg’ und Finsterlinge,

Die um die Dämmrungszeit den Flug beschreiben,

Doch auf Minervens Helmbusch nie gesessen,

 

O Vaterland, weiß Gott, nur zu geringe

Dich schätzend, Spott sie mit der Mutter treiben;

Kannst du, lehr’ endlich sie sich selbst vergessen!

 

 

88

 

Um Eins laßt uns, eh’ sich im Ost die lichten

Gewölke theilen, wenn sie sanft erröthen,

Zum Herrn der Welt vor Sonnenaufgang beten:

Erfüllung unsrer kleinen Alltagspflichten.

 

Nur Großes wollen Alle sie verrichten,

Den Pfad, von alter Tugend ausgetreten,

Vermeiden sie, als ihrer Majestäten

Unwerth; nichts wird, weil gar zu hoch ihr Dichten.

 

Kann, wer nicht klein beginnt, wohl groß vollenden?

So stehn sie gaffend rings mit müß’gen Händen,

Die Träggeschäft’gen schwatzend aller Enden.

 

Und mag die Lieb’ holdselig sanft sie laden,

Die Demuth bieten gleich den Anfangsfaden

Zum großen Werk, man säumt zu ew’gem Schaden.

 

 

89

 

Hinweg vom Kampfplatz, starke, schöne Geister,

Wie ihr euch nennt, o schwach, verzerrt und klein

Erkennt, wer klarer blicket, euch zu sein;

Zwergschüler seid ihr, Riesen nicht, noch Meister.

 

Großsprecher stets, doch keine Zahlungsleister,

Statt Früchte bringt ihr schale Näscherei’n.

Der weise Arzt blickt zürnend, spöttisch drein,

Euch, Aerzte nicht, nein, Sudelköche heißt er.

 

Hinweg vom Kampfplatz! Männern nur gebührt

Der Platz, wo ihr euch eindrängt, niedre Schmeichler

Des Lasters, die ihr stolz die Tugend meistert.

 

Nur Schande deckt, was eure Hand geziert

Mit schlechtem Lorber, ha, Gesundheitsheuchler,

Die nichts als schlechter Modequalm begeistert.

 

 

90

 

Bang’ zittern sie, naht ihnen die Idee,

Die Urnacht, drin sie weilen, sanft zu lüften

Durch Glaubenslicht; von bösem Unruhstiften

Aufreden sie und drohen Tod und Weh.

 

Zu Muth wird ihnen bei des Heil’gen Näh’,

Wie einst bei ihren Rechnungen und Schriften

Den Wechslern, Taubenhändlern, als in Lüften

Die Geißen sauste, zürnend in der Höh’.

 

Sie wollen Keinen, sie soll Jeder hören,

Mit ihrem Wort von seichtem Erdenwohl,

Zerstörung übend soll sie Keiner stören.

 

Kein sichrer Widerhall, obschon sie hohl,

Ertönt aus ihnen, die sich toll bethören;

Ihr Sinn ist zu, das Spinnrad ihr Symbol.

 

 

91

 

Gesetze blühn, rings Alles wird gesetzlich,

Schon herrscht Gesetz, im Einzeln wie im Ganzen,

Gesetz muß jede freie That umschanzen,

Was nicht aus dem Gesetz, ist widersetzlich.

 

Die freie Liebe selbst ist zu ergötzlich

Und nicht Gesetz.   Verhaßt sind alle Pflanzen

Mit Blüthen vor der Frucht, verhaßt das Tanzen;

Gehn, laufen, rennen dürft ihr gar entsetzlich.

 

Will einer etwas guten Willen zeigen,

Man wehrt die Freiheit ihm nicht ist’s geboten,

Und jeder Ueberschuß dünkt ihnen schrecklich.

 

Man spricht vom Baum, vom Wachsen: alle schweigen.

Allein Maschinen sä’n und drehn die Todten,

Und all’ ihr Mühn ist dennoch unerklecklich.

 

 

92

 

Wie doch, o übermüth’ge Splitterrichter,

Die ihr zerpflückt sonst jedes Meisters Kranz,

Nur Glieder seht, doch keines Leibes Glanz

In Schönheitsweben, umgekehrte Dichter,

 

Ob ihr vertheidigt jegliches Gelichter

Von eurem Schlag’, was ohne Kopf und Schwanz,

Oft rühmt und preist: o wie doch nennt ihr ganz

Noch diese Welt, bestochene Berichter?

 

Die ihr so scharf doch blickt in eurer Zunft,

Was seht ihr hier nicht allumher die Splittern

In Aug’ und Antlitz aller Kreatur?

 

Was nennt ihr schön sie, trotzend der Vernunft,

Die Wesen, die verwesen, die verwittern,

Wo Todessichel herrscht auf weiter Flur?

 

 

93

 

In staub’ger Mühl’, o ihr betrübte Müller,
Bevor ihr mahlt, sorgt erst doch für Getreide

Durch Göttergunst; wozu euch das Geschmeide,

Seid ohne Mehl ihr schlechte Säckefüller?

 

Wähnt ihr, nachahmend Jean Paul, Goeth’ und Schiller,

Daß euch ihr Gang und Schritt vom Pöbel scheide;

Umsonst führt Aug’ und Ohr ihr auf die Weide.

Mehl gilt es, nicht die alten Mühlentriller.

 

Werth der Unsterblichkeit zu werden, strebt

Zuvor das Lob der Mitwelt zu verachten;

Schreibt ihr, bedenkt, der Himmel sieht euch schreiben.

 

Darf er nicht eure Zeilen sehn, so bebt

Um euren Ruhm, was auch die Menschen sagten;

Was Gott gefällt, nur wird unsterblich bleiben.

 

 

94

 

Du stiegst empor zum höchsten Ehrengipfel,

Und schwebst anitzt dort, wo der Kork sich zeigt,

Ob unter dir die Fluth tief oder seicht;

Nicht steigt herab von seinem „I“ der Tüpfel.

 

Süß lockte dich Geräusch der Cedernwipfel

Auf steiler Höh’: da machtest du dich leicht

Von Grundsatz, Ehr’ und Tugend, und erreicht

Hast du’s, es zerrt der Neid an deinem Zipfel.

 

Allein der Neid sieht falsch und thut sehr thöricht,

Er lernte nicht, daß Ehre, Gold und Würden

Nur Zierde dem, der rechtlich sie erstrebt.

 

Der Weise achtet sie wie Spreu und Kehricht;

Im Thale wandelt er mit höhern Zierden

Geschmückt, als du auf deiner Höh’ erlebt.

 

 

95

 

Die Vielgeschäft’gen reden aus der Welt,

Die Selbstgefälligen aus eignem Sinn

Und eignen Sinnen, ohne viel Gewinn;

Aus Büchern schöpft die Red’ ein Bücherheld.

 

Ach jedes Urtheil, das die Zunge fällt,

Geschöpft nicht aus der Wahrheit, schnell dahin

Ist’s, wie im Herbst die falben Blätter fliehn,

Vom Sturm gejagt in’s öde, weite Feld.

 

Du schöpf’ aus eignen Herzens inn’gem Grunde,

Wohnt Gottes Geist in dir, der süß und hehr

Der stillen Lauscher selig unterrichtet.

 

Licht, Nahrung, Wärme tönt von deinem Munde

Und ew’ge Kraft in Herzen um dich her,

Du führst das Schwert, das jeden Hader schlichtet.

 

 

96

 

Vergebens rufst, mich lockend mit Gewinnste,

Du meinen Geist in deiner Worte Zwickeln,

Ihn labyrinthisch künstlich zu verwickeln

In’s knot’ge Netzwerk deiner Hirngespinste.

 

Der Weisheit Preis, so deine Kunst dir zinste,

Ist kleiner Lohn; er kann den Geist zerstückeln,

Doch nicht des Herzens ew’gen Keim entwickeln

Nach Einem strebt’s, doch du hast viele Künste.

 

Von deines Gartens vielverschlungnen Krümmen

Wend’ ich zurück mich in des Herzens Stille,

Der ew’gen Weisheit Nähe zu verehren.

 

Dort seh’ ich unermess’ne Schätze glimmen,

Und im Moment, ist’s ew’ger Weisheit Wille,

Macht sie mich reich und stillt all’ mein Begehren.

 

 

97

 

O blinder Thor, dir scheint die Welt entgöttert,

Weil dort kein Sonnengott die Rosse lenkt,

Nachts keine Göttin mehr den Wagen senkt,

Kein Zeus im Zorn die Wolkennacht durchwettert?

 

Dir steht der heil’ge Lebensbaum entblättert

Beim Strahl des Lichts, das Erd’ und Himmel tränkt

Mit einem Liebesocean. O denkt

Dein Hirn nicht mehr, hat es der Blitz zerschmettert?

 

Läßt liebend nicht die Eine, allerhalben

Ob dem Geschöpfe, segnend sich hernieder

Zu dem Geschöpfe, das er hält und trägt?

 

Ward er nicht Mensch, beut er in tausend Gaben

Dir nicht sich selbst, sind wir nicht seine Glieder,

In deren Herz sein Lebenspuls sich regt?

 

 

98

 

Fest schloß sich eurer Herzen Himmelthor;

Kein sanfter Laut, kein milder Widerschein

Dringt in die Höhle noch von oben ein;

Mit eigner Hand schobt ihr den Riegel vor.

 

Und statt der Sonne glänzt ein Meteor

Des Todes, mit der Hölle im Verein,

Vor eurer Seel’; es wird erloschen sein,

Eh’ ihr es denkt, wenn Alles sich verlor.

 

Dann steht in grauser Nacht ihr einsam da,

Und schaut in’s Dunkel, lauscht in Todesstille,

Bestürzt, wie solch ein Trugbild euch belog,

 

In welchem Zukunft, Gott und Himmel sah

Eu’r zaubertrunknes Herz, das aus der Fülle

Des sel’gen Tags in ew’ge Nacht euch zog.

 

 

99

 

Seit manchem lieben Jahr seh’ ich dich fliehn

Vor keinem Menschen, außer nur vor dir;

Dir selber fremd, gehörst du Allen schier,

Begrüßt von Allen, die vorüber ziehn.

 

So nascht dein Geist und flieht die Medizin,

Die schnell dich heilte.   Ach, an jede Thür

Pochst du vertrauend, suchend dort und hier,

Nur bei dir selbst nicht, anderswo so kühn.

 

Und hast du denn seit Jahren es erkannt,

Wie solches Kraut und Wurzel dir nicht frommen,

Was suchst du solche Wurzel, solches Kraut,

 

Durch Dämons Macht, wie außer dich, gebannt?

Zu Allen kamst du, kannst zu dir auch kommen;

Auf, und dem bess’ren Geist in dir vertraut!

 

 

100

 

Dir ward zur Liebe, die zur Einung ladet,

Auch Kraft der Selbstheit, so die Liebe schützt

Durch richt’ge Scheidung; schlechtbewahrt und stützt

Den Schritt, wer stets in weichem Flugsand wadet:

 

Sei er vom Himmel noch so reich begnadet,

Wer abzustoßen nicht die Kraft besitzt,

Was fremd nur hemmt und nimmer fördernd nützt,

Geht elend unter; was nicht nützt, das schadet.

 

Religion, Kunst, Wissenschaft und Leben

Sind edler Sammlung Töchter, nicht Zerstreuung

Erleiden sie, die jedes Fremde duldet.

 

Nicht wirst du je zum Höchsten dich erheben,

Fehlt dir des Hasses Kraft; zu der Erneuung

Kommt nicht, wer sich durch falsche Lieb’ verschuldet.

 

 

101

 

Du suchst dich selbst?   Recht und wir müssen’s loben;

Dein wahres Selbst, es ist der Gottheit Zier

Und Ebenbild; als es verloren schier,

Er sucht’ und fand’s, und hat es aufgehoben.

 

Doch außen nicht, such’s innen, such’ es oben,

Such’s nicht im Lebensstrudel außer dir,

Wo es nicht weilt; verloren wird es hier,

Allein gefunden nur in ihm dort oben.

 

Dahin von innen her dich flugs gewendet,

Wo du dich wahrhaft findest und erblickst

In deinem Urbild, herrlich in der Höhe.

 

Nicht sei an Aeußres, Niederes verschwendet

Des Herzens Seufzer, den du heiß verschickst.

Hinweg von dort; was du nicht bist, verschmähe.

 

 

102

 

Wir Menschen gehn auf Eis; leicht gleiten wir,

Wird uns die dunkle Fluth zum kalten Grab;

Auf Gluthenasche wandeln wir hinab,

Gähnt je der Schlund, geht auf die Flammenthür.

 

Vom Tod nicht ferner, denn der Schiffer schier

Im Meer auf morschem Kahne, fern dem Kap,

Ein zollbreit Holz hält sein Verderben ab,

Ein Sommerfaden uns vor Anker hier.

 

Und doch, o Preis des Ew’gen Huld und Güte,

Trotz aller Elemente Drohn und Tücke,

Feindsel’ger Kräfte mördrisch-finstrem Lauern,

 

Froh kosten wir des Lebens heil’ge Blüthe.

Sanft naht der Tag, die Nacht mit sel’gem Glücke

Die Seele tränkend mit Entzückungsschauern.

 

 

103

 

Blick’ auf mein Herz zum lichten Himmel droben,

Zu Staube wird, wem Staub den Ursprung gab,

Nur Ird’sches schlingt der Zeitenstrom hinab;

Im Todessturm wird Ew’ges sich erproben.

 

Dort, wo sie wandeln, jene lichten Globen,

Weilt, was von oben über Zeit und Grab

Entrückt der Dämmrung, wo ihr Herrscherstab

Nur Thönernes zerschlagen darf mit Toben.

 

Was wahrhaft, edel, gut und groß befunden

Im Zeitgebiet, vom Himmel kam es nieder,

Um unter Schatten tröstend hier zu weilen.

 

Doch als es unten keine Stätte funden,

Schlug’s, eingedenk der Heimath, sein Gefieder,

Mit dem, was ihm verwandt, schnell ’rück zu eilen.

 

 

104

 

Noch lebt der Geist des Herrn; ein jeder Seher

Hat Theil an ihm, der göttlich Wahres sieht,

Der Heuchelei und Trug wie Seuche flieht,

Und auch die Wahrheit thut, kein bloßer Späher.

 

Umsonst das Grab versiegeln Pharisäer,

Das nicht der Geist erwach’, ihr starr Gemüth

Ist kalt und finster, zu, dem Lichtgebiet;

Umsonst den Geist verleugnen Saduzäer.

 

Der Buchstab’ tödtet; doch der Geist zersprengt

Mit Engelstärk’, ein Schmetterling, die Hülle

Und schwingt sich auf in heil’ge Himmelslüfte.

 

O wer nicht liebt, im Tode eingeengt

Bleibt er ein Sklav’; o Lieb’ ist Lichtesfülle,

Ist Kraft und ew’gen Geistes Lenzgedüfte.

 

 

105

 

Um Mitternacht stand ich auf Thurmeszinnen,

Schon schlief die Stadt; da ward mir fern entdeckt

Ein stilles Haus, noch saß man aufgeweckt

Dort bei der Spindel, frisch wie im Beginnen;

 

Und Liebe sah und Achtung ich gewinnen

Ein Jedes dort, vom Andern ungeschreckt;

O, wie sie eins! wie rein und unbefleckt

Dort Lieb’ und Friedensströme niederrinnen!

 

Sanft lenkt der Mann das Weib mit ernstem Mahnen,

Das Weib die Töchter, gern gefolgt von diesen,

Als sei ihr Wort des Vaters eignes Wort.

 

Hier stehn sie noch, der Ordnung alte Fahnen,

O häuslich strenge Sitte, hoch gepriesen,

Und Innigkeit; o sel’ger Zufluchtsort!

 

 

106

 

Wie glänzt ob jenem Haus ein schöner Stern,

Wo Jedes je dem Andern freudig dient,

In seinem Blick den Wunsch zu finden sinnt,

Eh’ er noch kund, zuvor ihm eilend gern;

 

Wie eitler Ueppigkeit und Thorheit fern

Dort Mann und Weib und ihnen gleich das Kind!

Doch macht sie Selbstgefälligkeit nicht blind;

Wohl merken sie’s, solch Glück kommt nur vom Herrn.

 

Ihn dankt man froh. Für kleinsten Dienst verpflichtet

Ein Jedes sich dem Andern lange glaubt,

Und sorgt, wo es Gelegenheit erspähe.

 

Zum Gatten ist der Gattin Blick gerichtet,

Des Gatten Blick zu Christ als seinem Haupt.

So schmeckt man hier schon ew’ger Liebe Nähe.

 

 

107

 

Wie lang’ ist’s her, sprich, Wächter, seit zu Grabe

Die häuslich edle, alte Sitte ging,

Die neuer Bettelstolz nun schätzt gering,

Daß, traun, sie seltner, denn ein weißer Rabe?

 

Wohl sahst du sie, bereits ein Greis am Stabe,

Als Jugendlock’ um deinen Scheitel hing,

Und nennst die Zeit, wo an zu wirken fing

Die Pest, die tödtet Ehre, Sitt’ und Habe.

 

Du sprachst: ja, auf Redouten und auf Bällen

Wird der Natur durch Kunst der Hals verschnürt,

Des Herzens freud’ger Friede strangulirt.

 

Zur Ueppigkeit schnell Laster sich gesellen,

Zerstreuungssucht muß jede Tugend fällen,

Und schnöder Flittertand die Bahre ziert.

 

 

108

 

Ob allem Schönen bricht die Zeit den Stab,

Das Schlechte bleibt, schnell muß das Edle schwinden,

Wie kühn und schön es Menschenhand mocht’ gründen,

Es stürzt, mit ihm, was ihm den Ursprung gab.

 

So stürzen Jünglinge wie Greis’ in’s Grab,

Gemischt sie taumeln zu des Todes Schlünden;

Kaum mag zu blühn, was gut, die Stätte finden,

Schon schlingt’s die Zeit mit Tigerschlund hinab.

 

Weh, und es bleibt die taube, dunkle Erde

Wie ewig fest; nicht wankt des Berges Rippe,

Nur das Skelet des Lebens wanket nicht.

 

Das Meer, noch donnert’s wie beim Schöpfungswerde,

Der Ströme schont die grause Todeshippe,

Nur Todtes nicht des Todes Faust zerbricht.

 

 

109

 

O klage nicht, daß schnell der Reiz entschwindet,

Macht, Weisheit, Tugend. Schönheit nicht verweilen,

Daß sie vom Ort der trüben Oed’ enteilen

Dort, wo sich hell der ew’ge Tag entzündet.

 

Sie fliehn, nachdem sie treulich uns verkündet

Ein Glück, das höhre Zonen uns ertheilen;

Weh! wollte Weltlust unsre Wunden heilen,

Wenn ird’scher Wonne Dauer wär’ verbündet.

 

Verstummt schnell wäre die Prophetenzunge

Der heil’gen Sehnsucht nach dem sel’gen Strande

Der Heimath. O, wer würd’ um’s Ew’ge werben!

 

Kehrt ird’scher Glanz mit heil’gem Flügelschwunge

Zur Heimath, dehnt auch unser Geist die Bande

In Sehnsuchtsgluth, dem Tode zu entsterben.

 

 

110

 

Arbeit genug hab’ ich im Leben funden;

Arbeit und Kampf und Schweiß, sie sind mir recht,

Doch nicht eracht’ ich mich als steten Knecht

Der Müh’ und Noth, von Sorgen überwunden.

 

O heil’ge, seilige Erinnrungsstunden,

Momente, wo sich Himmelshoffnung regt

In Blitz der Lieb’ und Andacht; o wer trägt

Des Lebens Last, der nimmer euch empfunden!

 

Ein freier Knecht bin ich; wohl ist mir werth

Der Wahrheit Preis, des Lorbers edler Zweig,

Im Kampf mit Lüg’ und Schlechtigkeit errungen.

 

Doch meines Herrn zu denken auch begehrt

Sehr oft mein Herz, und sein verheißnes Reich

Ist’s, drum mein Schwert ich hab’ mit Kraft geschwungen.

 

 

111

 

Ein Engel weilt mit uns, von heitern Hügeln

Und ewig lichten Au’n herabgesandt,

Der mahnt durch’s Leben uns an’s Vaterland,

An Quellen, drin sich ew’ge Palmen spiegeln.

 

Tritt Psych’ an’s Licht, legt er um’s Aug’ ein Band

Von leichtem Flor, sie mächt’ger zu beflügeln,

Der äußern Freuden Pforten zu verriegeln

Bemüht, bis sie den Weg zum Innern fand.

 

Hat er sie dort, so zeigt er ihr den Lauf

Von dort nach oben zu der Zukunft Reichen;

Ein hohes Glück scheint glänzend ihr zu tagen.

 

Er kos’t mit ihr, schwingt sich mit ihr hinauf,

Spricht Ahnungsworte leis’ im tiefsten Schweigen

Und lehrt sie fröhlich hoffen und ertragen.

 

 

112

 

Nacht bringt uns Tod und reines Licht nur Schmerzen,

Uns taugt nicht reiner Tag, noch ganze Nacht.

Im Reich der Trüb’ und Dämmrung, wo entfacht

Die Nacht am Tag, sieh’ heitres Leben scherzen.

 

Weh uns mit unserm schwachen Menschenherzen,

In hellsten Tag aus finstrer Nacht gebracht:

Wie ständen wir zerschmettert und verzagt

In einem Saal von Millionen Kerzen!

 

Gottmenschlich nur ist, was uns dient und frommt,

In irdischem Gefäße Himmelsklarheit,

In Bild und Zeichen Tag der ew’gen Wahrheit;

 

Im Traum, was aus dem Ewigwachen kommt;

In sieben Farben heil’gen Geistes Strahl,

Sanft dämmernd Pilgern hier im Nebelthal.

 

 

113

 

Und hättest du den lichten Tagesstrahl

Dr reinen Weisheit, die du klar erkanntest,

Vergebens in die Nacht der Sinne sandtest

Du ihn zu Menschen in der Dämmrung Thal.

 

Der Funke, welchen einst Prometheus stahl,

Bracht’ wenig Frommen; wenn du heiß entbranntest

Für Licht und Recht und sie nicht mildernd banntest

In ird’sche Hülle, schafften sie nur Qual.

 

Die Weisheit, welche eins mit heil’ger Liebe,

Als sie der Menschheit sich erbarmen wollte,

Die rathlos in der Nacht des Todes saß,

 

Sann, wie sie menschliche Verhüllung übe,

Weil nicht ihr Lichtglanz schmetternd blenden sollte

Den Blick; so aller Hoheit sie vergaß.

 

 

114

 

Der Menschen Art ist tausend, bunt der Brauch

Der Dinge; jeder lebt des eignen Sinns

Mit mannichfachem Wunsch und Wollen; Zins

Beut ihm das Leben nach des Herzens Hauch

 

Zu dem, zu jenem Ideal. Ein Rauch

Und Morgennebel steigt es Anbeginns

Durchglüht vom Aufgangsstrahl; doch des Gewinns

Ertrag ist kurz, ein Rauch verschwindet’s auch.

 

Doch will ein Gott dir wohl, zum schönen Ziele

Kannst du dennoch auf manchen Wegen gehn;

Er ist mit dir und segnet deine Tritte.

 

Dir dient dein Pfad nicht bloß zum eitlen Spiele;

Aus dem, was schnell vergeht, mag auferstehn

Ew’ges durch ihn, der Anfang, Ziel und Mitte.

 

 

115

 

Nahst du dem Tempel, laß die Sünde draußen;

Wo Gottes heil’ge Heer’ unsichtbar walten,

Dich sanft umschweben himmlische Gestalten,

Darf dir nicht Schalkheit tief im Innern hausen.

 

Du hörst den Sturm in Wolkennacht erbrausen,

Siehst Schwefel tausendjähr’ge Eichen spalten,

Und lebst; darfst du dich drum für sicher halten

Und frech den Genius am Barte zausen?

 

O, opfre nicht, im Herzen andre Rede

Als auf der Lippe, heuchelnd im Gemüthe,

Mit stummen Rauchfaß Gräu’l, der Fluch gebiert.

 

Ein reines Herz besiegt der Gaben jede;

Ein Herz voll Unschuld, Gradheit, Licht und Güte

Bring’ freudig dar; so bist du hochgeziert.

 

 

116

 

Und ward dir Gnad’ an hohen, hehren Festen

Im heil’gen Tempel, flugs nicht aller Ecken

Die Seel’ in Wust des Irdischen zu stecken,

Sei eingedenk, zu deinem eignen Besten.

 

Ach, nicht sofort zu Orleans Palästen

Die Hoffnung ausgesandt; was frommt’s zu wecken

Den Wunsch nach Rothschild’s goldgeborstnen Säcken.

Weh, wenn Dergleichen Seufzer dir entpreßten!

 

Wird hier die dürre Hoffnung blühn und grünen,

Im Erdenstaub, bauchkriechend gleich der Schlange?

O willst du flehn, fleh’ gleich auch um ’was Rechtes.

 

Der Himmel hört allein das Flehn der Kühnen:

Um Seine Liebe fleh’, nicht wählend lange;

Da dirs vergönnt, o wähle Ew’ges, Echtes!

 

 

117

 

Sorg’ nur, daß Gold, die Ursubstanz, nicht fehle

Am Hafenplatz, auf Schiffen, im Gezelt;

Durchstöbre rastlos jeden Theil der Welt;

Gilt es Gewinn, verkauf’ selbst deine Seele.

 

Der Erste heb’ vom dürstenden Kameele

Den Zimmt- und Pfeffer-Sack; und gilt es Geld,

Schwör’ falsch, lüg’ und betrüge schlau verstellt,

Daß Reichthums Göttin bald sich dir vermähle.

 

Hintan die Tugend; o, die gute naht

Mit Lieb’ und Ansehn, Schönheit, Ehr’ und Pracht

Gutwillig schnell, wo holder Reichthum glänzt.

 

Sie kommt von selbst: dort kommst du leicht zu spat.

Du zögerst? Wohl, so sei in Armuth-Nacht

Bei Salz und Brod denn Wasser dir kredenzt.

 

 

118

 

Gottloser Reichthum wächst; wie toller stets

Die Rosse traben, wenn sie sticht der Haber,

Wird Gold gehäuft; allein ein traurig Aber,

Ach, mit dem Glückskind nun zu Ende geht’s.

 

Trotz seiner Gattin Fasten und Gebets,

Todtenposaune, Bahr’ und Kandelaber

Mit Leichen-Rosmarin. Schon nahn die Traber:

Noch ein Sekündchen! Keiner, ach, erfleht’s.

 

O Schauspiel, dort der Füße starre Sohlen

Hoch vom Gerüst thorwärts gestreckt zu sehn,

Die lang’ auf jedem Pfad nach Reichthum rannten!

 

Habgier’ger, fühlst du brennen nicht die Kohlen,

Die heiß von dort ob deinem Haupt ergehn?

Weh, wenn sich dir nicht ein die Spuren brannten!

 

 

119

 

Wer schlecht von Schlechten spricht, ist drum kein Schlechter,

Der ist’s, der feige gut von Schlechten spricht,

Und schlecht von Guten, der ein Lästrer nicht,

Der Lästrer schilt; was statt des Schwertes brächt’ er?

 

Und rauhes Wort bezeugt nicht den Verächter

Von menschlich edler Bildung; nimmer bricht

Ob edler Kunst und höh’ren Wissens Licht

Den Stab im Zorn er, ist’s nur ein gerechter.

 

Nein, hier ist nicht, der Kugel und Cylinder

Im Staub beschrieben, Ziffern auf der Fläche

Des Marmortisch’s im Wein, dummklug belachte.

 

Nein, Männern gilt’s, die Kinder sind, und minder

Als Weiber Tugend, Ernst und Weisheit üben;

Fern, daß ein menschlich Edles ich verachte.

 

 

120

 

Des Klugen Geist sei deines Liedes Faden,

Des Weisen Spruch dein Weg; doch allermeist

Nachfolgend eignem und nicht fremdem Geist,

Gehst du auf neuen wie auf alten Pfaden.

 

Treu deinem Schutzgeist ehre, was von Gnaden

Dir eine freundlich-höh’re Macht erweist,

Folgsam, wo es „Zieh’ aus die Schuhe“ heißt;

Doch wisse: fremder Eingriff bringt dir Schaden.

 

Einfalt und Hoheit bringt die Demuth dir,

Die treulich deinem Dämon du erzeigest;

So führt dich mancher Weg zu einem Ziel.

 

Also bezwigst du siegreich für und für,

Was aus und unter dir, dich selbst und steigest

Zur Einheit auf, und Ernst durchherrscht dein Spiel.

 

 

121

 

Ein weiser Dichter sprach, den längst geborgen

Die stille Erd’ Hesperiens begräbt:

„O Jener wahrlich hat nicht schlecht gelebt,

Der lebend, so wie sterbend lieb verborgen!“

 

Und Seele du, die in den lichten Morgen

Des ew’gen Tags schon jetzt den Scheitel hebt;

Ob unbekannt der Welt dein Bild entschwebt,

Dein Name schwindet, willst du thöricht sorgen?

 

O nimmermehr! Mit Christ sind wir begraben

In Gott, mit ihm verborgen unser Leben,

Daß herrlich wir mit ihm dereinst erstehn.

 

Hier bringt Verlieren Vortheil und nicht Haben;

Laßt täglich uns mit ihm zu sterben streben,

Froh, wenn er winkt, zu ihm hinübergehn.

 

 

122

 

Süß, wenn auf uns der Leute Finger deutet,

Ei, seht doch, Freunde, der dort ist der Mann!

Er schuf’s; er, der zuerst es ausersann:

Süß ist das Mitleid, süßer „sein beneidet“.

 

Und doch auch hier mein Sinn sich gern bescheidet,

O schönen Vortheil auch wohl der gewann,

Der treu verschwiegen geht des Lebens Bahn,

Dem kein vertrautes Wort der Zung’ entgleitet.

 

Und schwebt er nicht auf aller Zung’ und Lippen,

Ein Freund doch schätztz die zuverläss’ge Brust,

Die ernst und treulich das Geheimniß wahrt;

 

Gerecht und edel flieht er manche Klippen,

Der Billigung des Gottes sich bewußt,

Ward gleich kein glänzend Loos ihm aufgespart.

 

 

123

 

Mir wohnt ein Mann in fern entlegnen Landen

Von hellem Geist und gut, klug sonder List,

Der unermeßlich mir verschuldet ist,

So wie ich ihm, seitdem wir zwei uns fanden.

 

Und seltsam! diese wechselseit’gen Banden

Des Gläubigers und Schuldners, hört und wißt,

Sie dauren fort für nun und jede Frist,

Doch sind wir quitt und völlig einverstanden.

 

Und er ist mir und ich bin ihm sehr hold;

Wohl unter einem Stern sind wir geboren,

Wir sind uns fern, doch immer uns verloren.

 

Allein versteht, die Red’ ist nicht von Gold!

Nur Freundschaft ist der Freundschaft Zins und Sold;

Es ist ein Freund aus Taufenden erkoren.

 

 

124

 

Wo riesenschultrig vor die Klippen springen,

Am scharfen Fels die Woge zischt und sprüht,

Mit reicher Thalung sich landeinwärts zieht

Der donnernde Neptun mit wildem Ringen;

 

O schöne Mondbucht, könnt’ es mir gelingen,

Im Häuschen, das die Wogen übersieht

Dort von der Höh’, nachdem der Herbst verglüht,

Mit meinem Freund den Winter zu verbringen,

 

Wie’s Persius und Bassus einst gelang

Am Wogenbruch und lauen Ligusstrande,

Fern von der Stadt und tollem Lärm der Welt!

 

Weisheit und Dichtkunst schlangen eng’ die Bande

Der Freunde; beim Gesang und Becherklang

Schön am Kamin ward Winternacht erhellt.

 

 

125

 

O du, mit dem ich unter trautem Dache

Der Nächste Anfang oft so süß verwacht,

Nach kleinem Mahl philosophirt, gelacht;

Die Stunden flohn, wie Fluth im klaren Bache.

 

Beim Lampenschein im einsamen Gemache

Oft saßen wir, wenn schon entwich die Nacht,

Durch enge Ritzen junger Strahl getagt,

Mit Stäubchen spielend, daß ein End’ er mache.

 

Dem ein Bewundern, Lieb’ und reges Streben

Mich eint, Leid, Freude, Last und Rast verbinden,

Ein Stern geleitet auf den Pfad durch’s Leben:

 

O hätt’ ich hundert Zungen anzuheben,

Wie hehr in meines Busens Irrgewinden

Dein Bild befestigt steht, laut zu verkünden!

 

 

126

 

„Steh fest, Mann, handle kühn und sei kein Beber,

Sprich aus das Wort, mag’s nicht dein Herz beengen,

Weißt, kannst du ’was, es wird dich ängst’gend drängen,

Bis solcher Sauerteig zersprengt die Leber!

 

Sei Gottanstreber, sei kein Erdankleber;

Die Felswand muß der Feigenbaum zersprengen.

Hindurch dein Herz in That, in Wort, in Klängen,

Wo Dickicht hindert, rasch hindurch, ein Eber!

 

Was dich beseelt von Kunst, Kraft, höh’rem Wissen,

Begeisternd dich hoch über dich erhebt,

Heraus an’s Licht aus trägen Finsternissen.

 

Ein Feigling, wer vor Lob und Tadel bebt,

Schwert in der Scheid’ zu schonen nur beflissen:

Nichts, was du weißt, wofern nicht All’ es wissen.“

 

 

127

 

Was hier und dort geschrieben meine Feder,

Recht war’s gemeint, trägt’s Flecken gleich und Fleckchen;

Die Thoren stutzten; bleich wird Geck und Geckchen,

Wo frisch nur zieht Satyrikus vom Leder.

 

Zypressenkästleins werth und Oels der Ceder

Wohl schrieb ich gern. Doch welch Paquet von Päckchen

Ist Lob des Volks? Schütt’ aus des Sackes Säckchen,

Die in dem „ei, wie hübsch!“ befaßt ein Jeder.

 

Der lobt und preist ein jämmerlich Geweine,

Geeignet, Strömen Ursprung zu verleihn,

Bei Andern darfst nicht laute Lache sparen.

 

Der liebt das Edle, Jener das Gemeine,

Ist’s Heldenthun, Kraft, Freundschaft, Liebe, Wein?

Poet, such’s Jovis Ohren zu bewahren!

 

 

128

 

Oft gleicht mein Genius dem Flügelroß,

Durch blaue Luft hoch in die Aetherferne,

Bis wo verdämmern letzte Nebelsterne,

Hineilend wie der Sonne Glanzgeschoß.

 

Doch oft gleicht er dem Thierchen, das nicht groß,

Grau, langsam schreitet, duldsam tief im Kerne:

Getreidekörner trägt zur Mühl’ es gerne,

Obwohl dem Stock und jedem Spotte bloß.

 

Denn wohl bepackt mit Kist’ und Kräutersäcken,

Mit Pflastern, Wurzeln, Apothekersachen,

Zieht ruhig es die Straßen sonder Klagen,

 

Freiwillig bald, bald unter Treibers Stecken,

Bald ernsthaft, bald selbst mit iron’schem Lachen,

Rings bringend Heil für Kopf und Herz und Magen.

 

 

129

 

Die Zeilen sehend, muß ich fast erblassen:

Nicht einfach, ungeschmückt, noch ungeziert

Sind sie fürwahr, und oft sehr ungenirt,

Im Negligée sie frei sich blicken lassen.

 

Bald holz-, bald tanzbeschuht daher die Gassen

Nennt manch Sonnet, und eilend sich verliert,

Schlottricht gekleidet, frei und ungeschnürt;

Den Ernst und rechten Anstand scheint’s zu hassen.

 

Und doch in dem nachlässigen Gewande,

Das Freiheit kühn’rer Rede ihm verschaffte,

Scheint oft ein sichres Etwas vorzublicken

 

Von jenes Mannes Denkart und Verstande,

Den weg des Schierlings grause Schlürfung raffte,

Und dessen Wort selbst Thoren mocht’ berücken.

 

è Fortsetzung